Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat am Dienstag, dem 7. September 2010, eine Sammelverfügung („Anordnung zu Kapitalisierungsgeschäften“) und ein Rundschreiben („Hinweise zu Lebensversicherungen gegen Einmalbeitrag und zu Kapitalisierungsgeschäften“) veröffentlicht. Die BaFin reagiert damit auf die seit einiger Zeit zunehmende Bedeutung von Kapitalisierungsprodukten und Versicherungen gegen Einmalbeitrag in der Lebensversicherung.
Mit der Sammelverfügung macht die BaFin den Lebensversicherungsunternehmen nun erstmals verbindliche Vorgaben zu Kapitalisierungsgeschäften. So haben die Unternehmen für diese Geschäfte zwingend eine selbstständige Abteilung des Sicherungsvermögens einrichten, wenn sie mindestens drei Prozent des gesamten Sicherungsvermögens ausmachen. Sofern eine selbstständige Abteilung eingerichtet werden muss, sind die Unternehmen künftig verpflichtet, fortlaufend eine besondere Liquiditätsplanung zu führen. Ferner verlangt die Sammelverfügung, dass die Laufzeit der Verträge im Voraus festzulegen ist.
Das Rundschreiben ergänzt die Sammelverfügung und stellt die bisherige Verwaltungspraxis der BaFin zu Versicherungen gegen Einmalbeitrag sowie zu Kapitalisierungsgeschäften dar. Bereits 1996, 2005 und 2007 hatte die BaFin Hinweise zu Kapitalisierungsgeschäften und zu Lebensversicherungen gegen Einmalbeitrag veröffentlicht. Ziel der Veröffentlichungen ist es, bei Produkten, die als kurzfristige Kapitalanlage dienen könnten, eine Spekulation gegen den Bestand weitestgehend auszuschließen. Die bisherigen Verlautbarungen werden mit der Veröffentlichung des neuen Rundschreibens gegenstandslos.
Text der Verfügung:
Sammelverfügung vom 07.09.2010 – Anordnung zu Kapitalisierungsgeschäften
Geschäftzeichen: VA 21-I 4209-2010/0001
A. Anordnung
Anordnung gegenüber allen zum Direktversicherungsgeschäft zugelassenen Lebensversicherungsunternehmen
a) mit Sitz im Inland
b) mit Sitz außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum
c) mit Sitz in einem anderen EU/EWR-Staat, die nicht den Versicherungsrichtlinien unterfallen.
Die Aufsichtsbehörde hat bereits im Geschäftsbericht BAV 1996 sowie in der Verlautbarung vom 04.10.2005 und Auslegungsentscheidung vom 27.06.2007 Hinweise zu Kapitalisierungsprodukten veröffentlicht. Diese Produkte spielen seit einiger Zeit eine zunehmend größere Rolle in der Lebensversicherung und werden vermehrt in Varianten angeboten, die auch als kurzfristige Kapitalanlage dienen können. Diese Entwicklung macht es nun erforderlich, zur Wahrung der Belange der Versicherten aufsichtsrechtlich verbindliche Vorgaben zu solchen Produkten zu geben.
Um Spekulationen innerhalb des Bestands an Versicherungsverträgen zu vermeiden und die jederzeitige Erfüllbarkeit der Verpflichtungen sicherzustellen, ordne ich gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) daher an:
1. Einrichtung einer selbstständigen Abteilung des Sicherungsvermögens
Die Lebensversicherungsunternehmen, welche Kapitalisierungsgeschäfte im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 und 2 VAG betreiben, haben ab dem 4. Quartal 2010 quartalsweise den Anteil der für diese Geschäfte zu bildenden Deckungsrückstellung an der gesamten Deckungsrückstellung des selbst abgeschlossenen Geschäfts ohne Abzug der Anteile der Rückversicherer festzustellen und zu dokumentieren.
Eine selbstständige Abteilung des Sicherungsvermögens ist gemäß § 66 Abs. 7 VAG unverzüglich einzurichten und dieser sind geeignete Vermögenswerte zuzuführen, wenn der Anteil der Kapitalisierungsgeschäfte in dem Sicherungsvermögen, in dem diese abgerechnet werden, mindestens drei vom Hundert – gemessen an der Deckungsrückstellung – beträgt.
Verträge, die
i) nicht den Charakter eines Einlagengeschäftes im Sinne des Kreditwesengesetzes (KWG) aufweisen (wie Produkte zur Rückdeckung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung und von Arbeitszeitkonten sowie Riesterverträge mit Auszahlungsplan), oder
ii) unmittelbare Wiederanlagen fälliger Leistungen im selben Unternehmen für maximal zwei Jahre nach Fälligkeit der Leistung darstellen, sofern diese nicht aus Kapitalisierungsprodukten resultieren,
können unberücksichtigt bleiben. Die Anteile der nach i) und ii) festgestellten Verträge sind zusammen mit dem festgestellten Gesamtbestand (vgl. ersten Absatz) zu dokumentieren. Sie können bei der Bestimmung des Mindestumfangs der selbstständigen Abteilung des Sicherungsvermögens außer Betracht bleiben.
Maßgeblich für die Bemessung der Überschussbeteiligung des Kapitalisierungsprodukts sind nur die in der entsprechenden Abteilung des Sicherungsvermögens geführten Kapitalanlagen.
Nach Einrichtung einer selbstständigen Abteilung des Sicherungsvermögens ist auch innerhalb dieses Bestands die Möglichkeit der Spekulation zu vermeiden.
2. Bildung einer Liquiditätskennziffer
Sobald nach A.1. die Einrichtung einer selbstständigen Abteilung des Sicherungsvermögens erforderlich ist, ist für diese monatlich in Anlehnung an die Liquiditätsverordnung (LiqV) in der jeweils geltenden Fassung eine Liquiditätskennziffer für einen Prognosezeitraum von drei Monaten zu bilden und zu dokumentieren.
Hierzu sind monatlich die bereitstehenden Mittel aus dem Cashflow des Kapitalisierungsproduktes (die jeweiligen erwarteten Beitragseinnahmen und laufenden Kapitalerträge) und die liquidierbaren Kapitalanlagen (zu Marktwerten) aus der selbstständigen Abteilung einem Mittelabfluss von 50% des nach den Vertragsbedingungen größtmöglichen Mittelabflusses gegenüberzustellen. Sollte in der Praxis ein höherer Abgang an Liquidität beobachtet werden, als in der Berechnung der Liquiditätskennziffer unterstellt, ist deren Ermittlung unverzüglich anzupassen.
Liquidierbare Kapitalanlagen sind die in § 3 Abs. 1 LiqV genannten Zahlungsmittel. Ferner zählen hierzu die Kapitalanlagen gemäß § 3 Abs. 2 LiqV, sofern die Restlaufzeit dieser Anlagen den betrachteten Zeitraum von einem Monat nicht überschreitet.
Wird die Kennziffer von 1,2 unterschritten, ist dies unverzüglich der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt) zu melden und nachzuweisen, dass die sofortige Bedienung von Mittelabflüssen auch weiterhin nachhaltig gesichert ist, ohne die Mittel des übrigen Bestandes unangemessen zu verwenden.
Daneben ist unternehmensindividuell jährlich zu prüfen, ob die Berechnung einer weiteren Liquiditätskennziffer mit einem längeren Prognosezeitraum unter Risikogesichtspunkten (beispielsweise aufgrund der gewählten Produktgestaltung) geboten erscheint. Auch diese Liquiditätskennziffer ist dann zusätzlich monatlich zu ermitteln. Die genannten Melde- und Nachweispflichten gelten entsprechend.
3. Weitere Pflichten
Die Lebensversicherungsunternehmen müssen die Laufzeit der Verträge im Voraus festlegen. Verlängerungsoptionen sind nur dann zulässig, wenn das LVU die Möglichkeit hat, der Verlängerung zu widersprechen. Entsprechendes gilt auch für Zuzahlungen, die im ursprünglichen Vertrag noch nicht genau festgelegt waren. In Einzelfällen kann von der Vereinbarung eines Widerspruchsrechts abgesehen werden, sofern Kapitalisierungsprodukte angeboten werden, die nicht den Charakter eines Einlagengeschäfts im Sinne des KWG aufweisen.
Weniger einschneidende und gleichwirksame Maßnahmen als in dieser Anordnung vorgesehen, sind nicht ersichtlich. Die Anordnung ist auch angemessen, um die Belange der Versicherungsnehmer ausreichend zu wahren.
B. Hinweis auf Rundschreiben 08/2010 – Hinweise zu Lebensversicherungen gegen Einmalbeitrag und zu Kapitalisierungsgeschäften
Ergänzende Hinweise zu der zuvor getroffenen Anordnung finden sich im Rundschreiben 08/2010 (Gz. VA 21-I 4209-2010/0002). Das Rundschreiben dient gleichzeitig als Kompendium, das die bisherige Verwaltungspraxis der Bundesanstalt zu Versicherungen gegen Einmalbeitrag und zu Kapitalisierungsgeschäften zusammenführt. Daher werden die Verlautbarung zur Zulässigkeit von Kapitalisierungsgeschäften (VA) vom 04.10.2005 und die Auslegungsentscheidung zur Zinsüberschussbeteiligung bei Kapitalisierungsprodukten vom 27.06.2007 gegenstandslos.
C. Inkrafttreten
Die Anordnung zu Punkt 1 und 2 tritt mit Bekanntgabe in Kraft. Die Anordnung zu Punkt 3 tritt ab 01.01.2011 in Kraft.
Ich bitte Sie, mir den Empfang der Anordnung unter Angabe der Registernummer Ihres Unternehmens und des Zugangsdatums binnen zwei Wochen zu bestätigen.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen die Anordnung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Graurheindorfer Str. 108, 53117 Bonn, oder Lurgiallee 12, 60439 Frankfurt am Main, schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen.
Quelle:Bafin